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Literatur Aktion Wedding 2 BEHZAD KARIM KHANI


BEHZAD KARIM KHANI

Am 1. Mai 2023 war der Autor Behzad Karim Khani bei uns zu Gast. Es war die zweite Lesung unserer Reihe Literatur Aktion Wedding, und der Autor schien sich wohlgefühlt zu haben. Wir einigten uns am Anfang der Veranstaltung auf das Du, ganz passend für zwei Menschen, die nicht unbedingt eine bildungsbürgerliche Schau abziehen müssen. Es geht um mehr als Distinktion, um das echte Leben in guter Literatur.

Behzad, der offen über seine Jugend in genau dem Milieu spricht, das er im Roman „Hund Wolf Schakal“ beschreibt, musste nach einer Karriere auf der Straße zunächst Bauzeichner werden, um in die Architektur zu kommen, die ihn aber nicht weiterbrachte. Er studierte Medienwissenschaft, kam dann zum Schreiben und mit seinem Debutroman zu Hanser Berlin. Ich selbst, der Moderator und Kurator der Reihe, habe auch eine Weile gebraucht, um im Kulturleben anzukommen. Behzad landete mit seinen aus dem Iran geflüchteten Soziologen-Eltern in Deutschland im Prekariat und stellte sich selbst noch weiter außerhalb der gesellschaftlichen Mitte, ich war ein Kind des Proletariats; als oberster Abschluss war die Realschule vorgesehen, die habe ich als notorischer „Störer“ vorzeitig beendet. Mit einiger Verspätung kam ich über einen Steinmetzabschluss und Abitur am Berlin Kolleg dann doch zu einem Magister in Literatur. Damit zur zweiten Ader unseres guten Drahtes auf der Bühne – die deutsche Sprache. Wir lieben sie, und Peter Weiss.

Peter Weiss gehört zu den drei Autoren, die Behzad für das Vorprogramm ausgesucht hat, mit seinem Roman „Abschied von den Eltern“.

Ich selbst entdeckte das Hauptwerk von Peter Weiss „Ästhetik des Widerstands“ am Ende meines Uni-Studiums, womit allein sich das schon gelohnt hatte: Die ÄdW ist ein Riesenroman, den Behzad mehrfach angefangen hat, wie er uns erzählte, aber im Gegensatz zu allem anderen von Peter Weiss nicht zu Ende las. Es lässt sich in der Tat nicht so gut alleine lesen, irgendwann bilde ich noch mal eine Lesegruppe „ÄdW“, dieses fast vergessene Werk ist so wichtig für die Literatur, komplex und voller Bezüge zur Geschichte der Revolutionen, zu ihren Bildern und Texten, zur Geschichte des Widerstandes gegen Faschismus und Unterdrückung, und Behzad wäre herzlich eingeladen.

LEKTÜREN IM KONTEXT
Aber jetzt zum Vorprogramm unserer Literaturreihe im Theater. Es besteht aus den von Schauspieler:innen vorgetragenen Textpassagen aus drei Büchern, die dem Gast des Abends wichtig sind.
Ich erinnere hier an die Auftaktveranstaltung mit der im Wedding aufgewachsenen Autorin Nadire Biskin.

Nadire nannte den dänischen Dichter Yahya Hassan, die schwedische Dichterin Athena Farrokzhad und die deutsche Autorin Fatma Aydemir, die ebenfalls einen Wedding Roman geschrieben hat.

Die Zuordnungen dänisch, schwedisch und deutsch gelten hier nicht den Nationen, sondern der Sprache, in der geschrieben wird. Die Sprachen sind kategoriale Orientierungen in der höchsten zivilisatorischen Körperschaft, die ich anerkenne, das ist die Literatur. Sprachbarrieren sind durch Übersetzung zu überbrücken, und das Übersetzen wiederum hat noch eine andere Ebene in der Literatur: Übersetzt werden auch die kulturellen Differenzen, die unsere Völker in den letzten 5 Jahrhunderten in diese erbärmliche Situation gebracht haben, zur Allgegenwart von Rassismus, Frauenfeindlichkeit, ökonomischer Ungleichheit, Krieg, Unterdrückung und Ökokatastrophe. In der Auswahl seiner Literaturen im Kontext hat Behazd Karim Khani eine deutliche Spur aufgezeigt: Von Peter Weiss /Abschied von den Eltern über Feridun Zaimoglu / Kanak Sprak

zu James Baldwin / Nach der Flut das Feuer zieht sich ein roter Faden der literarischen Widerstands-Geschichte der Verfemten und Verfolgten.

Was diese Werke mit Behzad Karim Khani verbindet, ist wahrscheinlich ihre Radikalität: Bei Peter Weiss die radikale Offenheit der Selbsterforschung, zugleich ist sein Roman ein radikales Formexperiment absoluter Prosa; bei Feridun Zaimoglu die radikale Selbstermächtigung, die Umkehrung der gesellschaftlichen Verachtung in Stolz durch die Sprache der Straße; bei James Baldwin die radikale intellektuelle und künstlerische Selbstbehauptung in der tödlichen Rassistengesellschaft seiner Zeit, wobei unsere Zeit auch dieses Problem noch nicht gelöst hat. Insofern sind diese Bücher von absoluter Relevanz.
Lodi Toumin und Franziska Krol haben die Textpassagen auf eine sehr empathische und engagierte Art vorgelesen, mussten aber auf die bereits eingeübten Texte von James Baldwin verzichten, weil der deutsche Verlag uns die Rechte dafür nicht geben konnte, diese Art der Nebenrechte liegt bei den Erben in den USA. Stattdessen las Franziska meine Rezension aus der NZZ aus dem Jahr 2018, als die Herausgabe der Werke Baldwins in einer Reihe bei dtv gerade begonnen hatte.

https://www.nzz.ch/feuilleton/hass-laesst-sich-biegen-aber-nicht-brechen-james-baldwins-erster-roman-neu-uebersetzt-ld.1376154
Auch Literaturkritik ist Text, der das seine zur literarischen Aufklärung beiträgt.

Nach der Veranstaltung am 1. Mai bekam ich von mehreren Seiten zu hören, das Format ist gut. Das macht mich ein bisschen stolz, zumal ich schon länger versuche es zu etablieren.

Behzad Karim Khani hat seine Rolle als Hauptakt des Abends zweifellos ausgefüllt und uns reichlich aus seinem Leben und über sein Verständnis von Literatur erzählt. Von ganz unten nach ganz oben, das könnte man sagen bei einem Menschen, der in seiner Jugend auf kleinkriminellen Pfaden wanderte und mit seinem Debutroman gleich bei Hanser Berlin erscheinen durfte.
Aber das würde beidem nicht ganz gerecht: Hanser ist zwar gut, aber die Literaturgesellschaft an und für sich ist nicht ganz so erhaben wie sie es manchmal zu sein scheint. Und ihr Gegenpol hier, das Milieu der Dealer, Schläger, Prostiuierten und Knastkarrieren ist natürlich auch nicht ganz so tief da unten, wie die gute Gesellschaft vermutet, die es sich vom Halse hält. Es gibt eine organische Verbindung zwischen den Schichten und eine dialektische Spannung in der künstlerischen Karriere eines Menschen, der wie man so sagt – aufsteigt.