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Rezension Berghau


In der Sache #ClimateFiction oder #CliFi ist noch viel zu sagen und zu schreiben. Aus Anlass eines neuen Romans von Angelika Waldis mit dem Titel "Berghau" fällt mir spontan der Journalist Anton Guha ein, der als solcher über die unterlassene Berichterstattung zum Klimawandel gut Bescheid wusste. Da die Klima-Geschichten damals, in den 1990er Jahren, nicht geglaubt wurden oder die Chefredaktion sie ihm nicht abkaufte, verfiel er auf das gute alte Mittel der Fiktion und dabei auf das der totalen Übertreibung und schrieb ein Tagebuch aus dem Jahr 2023 - ja, das passt.
Rückblickend auf das Jahr 2000 räsonniert dieser Tagebuchschreiber über die endlich eingesetzte Klimapolitik etc, und erinnert sich daran, wie damals, vor 20 Jahren, plötzlich das Meer anstieg und die Alpen in voller Breite einstürzten. Damit sind wir beim Thema:

In Angelika Waldis' Spitz-auf-Knopf erzähltem Alpendrama stürzen nicht alle Berge ein, aber immerhin und unverhofft ein paar Hänge. Die Wanderer sind plötzlich vom Aufstieg und vom Abstieg ausgeschlossen, finden aber Unterschlupf in einer kleinen bewirteten Berghütte. In der ersten Nacht, die sie schlafend auf dem Hüttenboden verbringen, stürzt auch noch die Terrasse ab - man blickt dort jetzt ins kahle Nichts der Bergwelt.

Und der Roman bzw diese große schwarze Alpennovelle blickt tief ins Nichts der Menschenherzen: Zwei Japanerinnen in Pink, eine mit Schienbeinbruch, ein befreundetes Wandertrio, ein junges Leherpärchen und der Hüttenwirt Sepp (ein ganzer Kerl) mit seiner Freundin plus ein aus dem Nichts hinzugekommer Teenager, ein Hund, kein Strom, wenig Essen und eine nur noch rudimentäre Landschaft oder Gegend (deshalb gibt es kein Nature Writing).

Das ist die Szenerie eines wirklich gut geschriebenen Romans, zu dem ich inhaltlich nicht mehr viel verraten will. Er ist absolut lesenswert und lässt auf mehr von dieser Autorin hoffen. Meinerseits wird hier eine Frage geklärt:

Wie und auf welche Art muss der Klimawandel eigentlich Objekt oder Gegenstand eines Climate Fiction Romans sein?

Der Klimawandel kann, wie es hier geschieht, ein zentrales Motiv sein. Hier ist es im Einzelfall das Phänomen der sich häufenden Bergstürze, über die der Bergsepp durchaus Bescheid wusste, als er entgegen der Warnungen besser Wissender sein Hüttenprojekt aufzog. Er hatte seinen guten, ganz persönlichen Grund, denn als Ausgestoßener der Dorfgesellschaft wollte er endlich seine Tauglichkeit beweisen. Nun ja, es geht am Ende doch wieder daneben, der Hang ist tatsächlich abgestürzt. Und auch die anderen Figuren sind im sich langsam steigernden Berghüttendrama - naturgemäß möchte man sagen, nur mit sich selbst und ihrem kleinen Kosmos aus Eros, Gier und Eigensucht beschäftigt, und sie lernen halt doch nichts dazu trotz der handfesten Fakten.

Und das ist nun wirklich die beste Allegorie bzw Zustandsbeschreibung unserer Situation - der multiplizierte Berghang in diversen Formen plus seine multiplizierte Besatzung ergeben ohne weiteres das planetarische Drama unserer Zeit. Insofern kann weiterhin die ausgeführte menschliche Komödie der Hauptgegenstand der Literatur bleiben, auch wenn sie sich mit dem Klimawandel befasst.

"Das Thema" hat unsere Literatur längst besetzt, ob wir nun CliFi sagen oder was auch immer...